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European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2001:J002496.20010427
Datum der Entscheidung: 27 April 2001
Aktenzeichen: J 0024/96
Anmeldenummer: 92120123.2
IPC-Klasse: B65B 41/06
Verfahrenssprache: EN
Verteilung: A
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE | EN | FR
Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung:
Name des Anmelders: G.D. SOCIETA’ PER AZIONI
Name des Einsprechenden:
Kammer: 3.1.01
Leitsatz: Im Rahmen von Regel 46 EPÜ ist es Aufgabe der Prüfungsabteilungen (und der Beschwerdekammern) zu prüfen, ob Mitteilungen der Recherchenabteilungen nach Regel 46 (1) EPÜ, in denen zur Zahlung weiterer Recherchengebühren aufgefordert wird, gerechtfertigt waren. Somit muß eine Prüfungsabteilung in einer Entscheidung nach Regel 46 (2) EPÜ auf sonstige Einwände der Anmelder im Zusammenhang mit der in Frage stehenden Recherche nicht eingehen.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 21(3)(c)
European Patent Convention 1973 R 46(1)
European Patent Convention 1973 R 46(2)
Schlagwörter: Einheitlichkeit der Erfindung – bejaht
Verfahrensmangel – verneint
Orientierungssatz:

Angeführte Entscheidungen:
T 0042/84
Anführungen in anderen Entscheidungen:
G 0001/11
J 0021/09

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen eine Entscheidung der Prüfungsabteilung des EPA, einen Antrag nach Regel 46 (2) EPÜ auf Erstattung von sieben Recherchengebühren, die die Anmelderin (Beschwerdeführerin) auf Anforderung der Recherchenabteilung entrichtet hatte, zurückzuweisen.

II. In ihrer Mitteilung vom 15. April 1993 hatte die Recherchenabteilung festgestellt, die in der europäischen Patentanmeldung Nr. 92 120 123.2 beanspruchten Erfindungen seien a posteriori uneinheitlich. Ihrer Auffassung nach sei die in den unabhängigen Ansprüchen 1 und 8 definierte Erfindung durch die Offenbarung der im Teilrecherchenbericht entgegengehaltenen Dokumente des Stands der Technik (GB-A-2 213 456 und EP-A-0 071 736) vorweggenommen. Somit seien die in den abhängigen Ansprüchen 2 bis 6 und 12 bis 14 jeweils definierten Erfindungen nicht durch eine einzige erfinderische Idee verbunden. Der Anmelderin wurde mitgeteilt, daß für jede einzelne Erfindung eine weitere Recherchengebühr zu entrichten sei, wenn der Recherchenbericht diese Erfindungen erfassen solle.

III. Die Anmelderin beantragte daraufhin eine vollständige Recherche und zahlte sieben zusätzliche Recherchengebühren. Die Recherchenabteilung führte daher eine vollständige Recherche durch, deren Ergebnis sie der Anmelderin übermittelte.

IV. Bei der Prüfung hielt die Prüfungsabteilung den Einwand der mangelnden Einheitlichkeit aufrecht. Ihrer Ansicht nach sei die in den unabhängigen Ansprüchen 1 und 8 definierte Erfindung durch die Offenbarung einer weiteren Vorveröffentlichung (EP-A-0 031 515) vorweggenommen, und die abhängigen Ansprüche seien nicht mehr untereinander in der Weise verbunden, daß sie gemäß Artikel 82 EPÜ eine einzige Idee verwirklichten.

V. Die Anmelderin reichte daraufhin neue, gegenüber der Druckschrift EP-A-0 031 515 abgegrenzte Ansprüche 1 und 8 ein, wodurch der Einwand der mangelnden Einheitlichkeit ausgeräumt wurde. Außerdem beantragte sie die Erstattung der weiteren von ihr entrichteten Recherchengebühren.

VI. In ihrer Entscheidung vom 20. Juni 1996 wies die Prüfungsabteilung den Antrag der Anmelderin auf Erstattung der Recherchengebühren aus den folgenden Gründen zurück:

Die während der Prüfung in den Ansprüchen 1 und 8 vorgenommene Abgrenzung ergebe sich zwar aus der Beschreibung und den Zeichnungen, fehle aber im ursprünglichen Anspruch 1. Somit habe die Recherchenabteilung dessen Gegenstand als solchen recherchieren müssen. Obwohl sich die Anmeldung auf ein enges technisches Gebiet beziehe, enthielten zumindest einige der verschiedenen Erfindungen Ideen, deren Recherche mit zusätzlichem Aufwand verbunden sei. Die in Abschnitt B-VII, 2.3 der Richtlinien für die Prüfung im EPA genannten Grundsätze gälten deshalb nicht. Erscheine hingegen ein unabhängiger Anspruch nicht patentierbar, so müsse nach den Richtlinien (C III, 7.8, letzter Absatz) sorgfältig geprüft werden, ob noch eine erfinderische Verbindung zwischen den abhängigen Ansprüchen bestehe. Mithin sei die Frage der Einheitlichkeit auch im Hinblick auf die von den Ansprüchen 1 und 8 abhängigen Ansprüche zu prüfen. Aus diesen Gründen sei der von der Recherchenabteilung erhobene Einwand der mangelnden Einheitlichkeit der Erfindung gerechtfertigt.

VII. Die Beschwerdeführerin legte gegen diese Entscheidung am 25. Juli 1996 Beschwerde ein und entrichtete am 31. Juli 1996 die volle Beschwerdegebühr. In der am 1. August 1996 eingereichten Begründung wies die Beschwerdeführerin im Hinblick auf die Einheitlichkeit der Erfindung darauf hin, daß die Recherchenabteilung die Patentanmeldung und alle zugehörigen Erfindungen in eine einzige Untergruppe der Internationalen Patentklassifikation (B65B-41/06) klassifiziert habe und daß alle relevanten Entgegenhaltungen des Recherchenberichts in drei Untergruppen klassifiziert seien, nämlich B65B-41/06, B65B-41/12 und B65B-41/14. Daraus sei ersichtlich, daß sich die angeblich unterschiedlichen Erfindungen alle auf dasselbe sehr enge technische Gebiet bezögen, das ohne besonderen zusätzlichen Aufwand recherchierbar gewesen sei. Die Beschwerdeführerin bestritt auch, daß die ursprünglichen unabhängigen Ansprüche 1 und 8 gegenüber den Entgegenhaltungen im Teilrecherchenbericht nicht neu seien. Insbesondere enthalte keines dieser Dokumente den Schritt, bei dem die Teile (8) von Verpackungsmaterial mittels der Erfassungseinrichtungen (47) entlang der Transportfläche gezogen würden. Da somit die ursprünglichen unabhängigen Ansprüche 1 und 8 neu seien, sei der Einwand wegen mangelnder Einheitlichkeit a posteriori nicht gerechtfertigt.

Zusätzlich wies die Beschwerdeführerin darauf hin, daß sowohl die Recherchen- als auch die Prüfungsabteilung Verfahrensfehler begangen hätten.

Ein erster Verfahrensmangel betreffe die Erstellung des Teilrecherchenberichts. Dieser sei unvollständig, da er nur für die Ansprüche 1, 2, 8 und 9 erstellt worden sei, nach Abschnitt B-III, 3.8 der Richtlinien aber alle von den recherchierten Ansprüchen 2 und 9 abhängigen Ansprüche hätte einschließen müssen. Ein zweiter Verfahrensmangel bestehe darin, daß die Prüfungsabteilung diesen Einwand in ihrer Entscheidung nicht berücksichtigt habe, obwohl er im Antrag auf Erstattung der Recherchengebühren erhoben worden sei.

Aus diesen Gründen beantragt die Beschwerdeführerin, die angefochtene Entscheidung aufzuheben,

– die angebliche mangelnde Einheitlichkeit erneut zu überprüfen,

– die weiteren Recherchengebühren zurückzuerstatten und

– die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht Regel 65 (1) EPÜ und ist daher zulässig.

2. Die angefochtete Entscheidung der Prüfungsabteilung bezog sich nur auf die Zurückzahlung weiterer Recherchengebühren nach Regel 46 (2) EPÜ. Sie betraf also nicht die Zurückweisung der Anmeldung oder die Erteilung des Patents. Nach Artikel 21 (3) c) EPÜ ist somit die Juristische Beschwerdekammer für die Prüfung der vorliegenden Beschwerde zuständig.

3. Es geht allein darum, ob die Mitteilung der Recherchenabteilung vom 15. April 1993 (s. Nr. II) gerechtfertigt war (R. 46 (2) EPÜ). Die Prüfungsabteilung bejahte dies.

Die Mitteilung der Recherchenabteilung beruhte auf einer Beurteilung der Einheitlichkeit a posteriori, also nach Berücksichtigung des Stands der Technik. Die mangelnde Einheitlichkeit resultierte also aus der Feststellung der Recherchenabteilung, daß “aus dem Stand der Technik, siehe Recherchenbericht, ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Zuführen von Teilen von Verpackungsmaterial zu einer Verpackungsmaschine nach den Ansprüchen 1 und 8 bekannt sind”. Nur wenn und insoweit diese Feststellung zutraf, war die Mitteilung der mangelnden Einheitlichkeit gerechtfertigt. Somit ist zu prüfen, ob die ursprünglichen Ansprüche 1 und 8 tatsächlich durch die im Teilrecherchenbericht angeführten Dokumente des Stands der Technik, d. h. die Offenbarung der Entgegenhaltungen GB-A-2 213 456 (D 1) und EP-A-0 071 736 (D 2), vorweggenommen wurden.

3.1 Die Erfindung nach dem ursprünglichen Anspruch 1 betrifft ein Verfahren zum Zuführen von Teilen (8) von Verpackungsmaterial (z. B. Papierstücken) zu einer Verpackungsmaschine. Die Verpackungsmaschine hat eine Übertragungsstation (5), in der die Teile des Verpackungsmaterials um die zu verpackenden Produkte (4) geschlagen werden.

Zu den kennzeichnenden Merkmalen dieses Anspruchs gehört, daß die Teile des Verpackungsmaterials “zur Übertragungsstation gezogen werden” (Hervorhebung durch die Kammer). Insbesondere werden Erfassungseinrichtungen (47) “fortlaufend in Berührung” mit den Teilen gebracht, um “so die Teile mittels der Erfassungseinrichtungen entlang der Transportfläche … hindurchzuziehen” (Hervorhebung durch die Kammer). Nach der Beschreibung besteht der Vorteil des beanspruchten Verfahrens darin, daß die Teile des Verpackungsmaterials gezogen werden, während sie im Stand der Technik geschoben wurden (vgl. z. B. Spalte 1, Zeilen 34 ff.), was zu Wellenbildung führen konnte. Somit ist aus der Anmeldung in der eingereichten Fassung ersichtlich, daß der Transport der Teile von Verpackungsmaterial durch Zug im Gegensatz zu Schub ein wichtiges Merkmal ist. Es impliziert, daß die Transportkräfte nur auf das vordere Ende der Teile von Verpackungsmaterial einwirken.

3.2 Bei den von der Recherchenabteilung angezogenen Dokumenten des Stands der Technik D 1 und D 2 wird das Verpackungsmaterial über Vakuum-Endlosförderer zugeführt, auf denen die Teile des Verpackungsmaterials entlang der ganzen Länge ihrer Seitenränder durch Unterdruck festgehalten werden. Demnach wirken beim Zuführen dieser Teile Schubkräfte auf das hintere Ende jedes Teils ein, so daß die Gefahr der Wellenbildung nicht ausgeschlossen werden kann.

3.3 Durch das unter Nummer 3.1 genannte Merkmal unterscheidet sich also der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 8 vom genannten Stand der Technik. Anscheinend verkannte die Recherchenabteilung die Relevanz dieses Aspekts, weil sie dem Ausdruck “Ziehen” nicht die besondere technische Bedeutung beimaß, die aus der Lehre der Anmeldung hervorgeht. Wie oben ausgeführt, stellt dieses Merkmal jedoch eine allgemeine erfinderische Idee dar, die allen Ansprüchen gemein ist (Art. 82 EPÜ). Daher war der Einwand der mangelnden Einheitlichkeit der abhängigen Ansprüche nicht gerechtfertigt. Die weiteren Recherchengebühren sind deshalb zurückzuzahlen.

4. Da der Beschwerde stattgegeben wird, stellt sich die weitere Frage, ob die beantragte Rückzahlung der Beschwerdegebühr wegen eines von der Beschwerdeführerin geltend gemachten wesentlichen Verfahrensmangels (vgl. Nr. VII) der Billigkeit entspricht (R. 67 EPÜ).

Was die Mitteilung der Recherchenabteilung nach Regel 46 (1) EPÜ betrifft, so stimmt die Kammer der Beschwerdeführerin zu, daß die Erfindung zu Unrecht als uneinheitlich bewertet wurde (vgl. Nr. 3.3). Dies war jedoch eine reine Fehleinschätzung, die nicht als Verfahrensmangel anzusehen ist. Zur angeblichen Unvollständigkeit des Teilrecherchenberichts gilt es zu bedenken, daß das Versäumnis einer Abteilung des EPA, sich an ein in den Richtlinien festgelegtes Verfahren zu halten, an sich noch keinen Verfahrensmangel darstellt, da die Richtlinien nicht rechtsverbindlich sind (vgl. z. B. T 42/84, ABl. EPA 1988, 251).

Der zweite Einwand der Beschwerdeführerin gibt Anlaß zu der Überlegung, ob die Prüfungsabteilung in ihrer Entscheidung auf die angebliche Unvollständigkeit des Teilrecherchenberichts hätte eingehen sollen. Im Rahmen von Regel 46 EPÜ ist es Aufgabe der Prüfungsabteilungen (und der Beschwerdekammern) zu prüfen, ob Mitteilungen der Recherchenabteilungen nach Regel 46 (1) EPÜ, in denen zur Zahlung weiterer Recherchengebühren aufgefordert wird, gerechtfertigt waren. Die Regel 46 (2) EPÜ bezieht sich jedoch auf keine anderen Handlungen der Recherchenabteilungen als den Erlaß von Mittelungen nach Regel 46 (1) EPÜ. Somit muß eine Prüfungsabteilung in einer Entscheidung nach Regel 46 (2) EPÜ auf sonstige Einwände der Anmelder im Zusammenhang mit der Recherche nicht eingehen, wie zum Beispiel den Einwand, der Teilrecherchenbericht sei nicht in Übereinstimmung mit den Richtlinien erstellt worden. Um jedes Mißverständnis zu vermeiden, betont die Kammer, daß die Prüfungsabteilungen selbstverständlich eine zusätzliche Recherche veranlassen können, wenn sie einen Recherchenbericht der Recherchenabteilung für unvollständig erachten. Dies hat aber mit einer förmlichen Entscheidung nach Regel 46 (2) EPÜ über die Rückzahlung weiterer Recherchengebühren auf Antrag nichts zu tun.

Die Kammer kann somit keinen wesentlichen Verfahrensmangel feststellen, der eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertigen würde.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Rückzahlung der von der Anmelderin zusätzlich entrichteten Recherchengebühren wird angeordnet.

3. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.