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European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1999:T089294.19990119
Datum der Entscheidung: 19 Januar 1999
Aktenzeichen: T 0892/94
Anmeldenummer: 87902669.8
IPC-Klasse: A61K 7/32
Verfahrenssprache: EN
Verteilung: A
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: INHIBITOREN VON ESTERASE PRODUZIERENDEN MIKROORGANISMEN ZUR HAUPTVERWENDUNG IN DEODORANTS
Name des Anmelders: Robertet S.A.
Name des Einsprechenden: Unilever N.V.
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: I. Ein Beteiligter, der der mündlichen Verhandlung fernbleibt, kann seinen in der Entscheidung G 4/92 (ABl. EPA 1994, 149) dargelegten Anspruch auf rechtliches Gehör unter Umständen durch seine Erklärung verwirken, sich nicht weiter am Verfahren zu beteiligen (Nrn. 2.2 – 2.5 der Entscheidungsgründe).
II. Nach G 2/88 (ABl. EPA 1990, 93) kann Neuheit im Sinne des Artikels 54 (1) EPÜ zuerkannt werden, wenn ein Anspruch auf die Verwendung eines bekannten Stoffs für einen bis dahin unbekannten, d. h. neuen, nichtmedizinischen Zweck gerichtet ist, der einer neu entdeckten technischen Wirkung entspricht. Eine neu entdeckte technische Wirkung verleiht einem Anspruch, der auf die Verwendung eines bekannten Stoffs für einen bekannten nichtmedizinischen Zweck gerichtet ist, aber keine Neuheit, wenn die neu entdeckte technische Wirkung der bekannten Verwendung des bekannten Stoffs bereits zugrunde liegt (Nr. 3.4 der Entscheidungsgründe).
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 113(1)
European Patent Convention 1973 R 71(1)
European Patent Convention 1973 R 71(2)
Schlagwörter: Neuheit eines Anspruchs, der auf die bekannte Verwendung eines bekannten Stoffs gerichtet ist und sich vom Stand der Technik lediglich durch die Angabe einer neu entdeckten technischen Wirkung unterscheidet, die dieser Verwendung zugrunde liegt (verneint)
Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör nach Artikel 113 (1) EPÜ, wenn eine Entscheidung auf Widerruf des Patents in Abwesenheit des Patentinhabers von der mündlichen Verhandlung ergeht, nachdem er erklärt hatte, sich nicht weiter am Verfahren zu beteiligen (verneint)
Orientierungssatz:

Angeführte Entscheidungen:
G 0002/88
G 0004/92
T 0231/85
T 0059/87
T 0341/92
T 0254/93
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0189/95
T 0186/98
T 0319/98
T 0717/98
T 0198/00
T 0496/00
T 0966/00
T 0486/01
T 0836/01
T 0943/01
T 1269/01
T 0034/02
T 0259/02
T 0326/02
T 1090/02
T 0503/03
T 1020/03
T 0060/04
T 0669/04
T 0816/05
T 1379/09
T 1782/10

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdegegnerin ist Inhaberin des europäischen Patents Nr. 0 307 400, das auf die europäische Patentanmeldung Nr. 87 902 669.8 erteilt wurde. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) legte gegen das gesamte Patent Einspruch ein, den sie damit begründete, daß der Gegenstand des Streitpatents nach Artikel 100 a) EPÜ nicht patentfähig sei, weil

– er nicht neu sei (Art. 52 (1) und 54 EPÜ),

– er nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe (Art. 52 (1) und 56 EPÜ) und

– die Patentfähigkeit gemäß Artikel 52 (2) a) EPÜ ausgeschlossen sei.

II. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende der sieben Entgegenhaltungen verwiesen, die von der Beschwerdeführerin im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren angeführt wurden:

(1) GB-A-2 013 493

(6) “Perfume and Flavor Materials of Natural Origin”, Elizabeth, N. J., 1960, Spalten 87 bis 90

Im Beschwerdeverfahren legte die Beschwerdeführerin noch folgende Entgegenhaltung vor:

(8) “Nonmicrobicidal deodorizing agents”, veröffentlicht in “Cosmetics & Toiletries”, 95, 1980, 48 – 50

III. Die unabhängigen Ansprüche 1 bis 3 in der erteilten Fassung lauten wie folgt:

“1. Verwendung eines aromatischen Säureesters eines Phenols oder eines aromatischen Alkohols bei der Herstellung eines desodorierenden Gemischs zur Hemmung von auf der menschlichen Haut vorhandenen Esterase produzierenden Mikroorganismen, wobei das Phenol bzw. der aromatische Alkohol genügend wasserlöslich ist, um eine antimikrobielle Wirkung zu zeigen, und die aromatische Säure genügend wasserlöslich ist, um eine antimikrobielle Wirkung zu zeigen und/oder den ph-Wert der flüssigen Körpersekretionen auf einen Grad abzusenken, der zumindest das Wachstum von Mikroorganismen in den flüssigen Körpersekreten hemmt.

2. Verwendung eines aromatischen Säureesters eines Phenols oder eines aromatischen Alkohols als Hemmstoff für Esterase produzierende Mikroorganismen in einem desodorierenden Gemisch, wobei das Phenol bzw. der aromatische Alkohol genügend wasserlöslich ist, um eine antimikrobielle Wirkung zu zeigen, und die aromatische Säure genügend wasserlöslich ist, um eine antimikrobielle Wirkung zu zeigen und/oder den ph-Wert der flüssigen Körpersekrete auf einen Grad abzusenken, der zumindest das Wachstum von Mikroorganismen in den flüssigen Körpersekreten hemmt, wobei das desodorierende Gemisch zusätzlich ein Duftstoffgemisch und einen Träger für den aromatischen Säureester und das Duftstoffgemisch aufweist.

3. Desodorierendes Gemisch mit einem Hemmstoff für Esterase produzierende Mikroorganismen, dessen Wirkstoff aus einem aromatischen Säureester eines Phenols oder eines aromatischen Alkohols besteht, wobei das Phenol bzw. der aromatische Alkohol genügend wasserlöslich ist, um eine antimikrobielle Wirkung zu zeigen, und die aromatische Säure genügend wasserlöslich ist, um eine antimikrobielle Wirkung zu zeigen und/oder den ph-Wert der flüssigen Körpersekrete auf einen Grad abzusenken, der zumindest das Wachstum von Mikroorganismen in den flüssigen Körpersekreten hemmt, sowie aus einem Duftstoffgemisch und einem Träger für den Wirkstoff und das Duftstoffgemisch.”

Die abhängigen Ansprüche 4 bis 10 waren auf bevorzugte Ausführungsarten der Verwendung bzw. des Gemischs nach den Ansprüchen 1 bis 3 gerichtet.

IV. In der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung legte die Beschwerdegegnerin einen Hilfsantrag vor, der sich von den Ansprüchen in der erteilten Fassung dahingehend unterschied, daß der Anspruch 3 für ein Stoffgemisch gestrichen war und alle Verweise auf den ursprünglichen Anspruch 3 in den abhängigen und nunmehr in die Ansprüche 3 bis 9 umnumerierten Ansprüchen entfallen waren.

Die Einspruchsabteilung vermerkte in ihrer Entscheidung, daß die Beschwerdeführerin den Einwand der mangelnden Patentfähigkeit nach Artikel 52 (2) a) EPÜ in der mündlichen Verhandlung als Einspruchsgrund zurückgenommen habe. Dennoch legte sie in der angefochtenen Entscheidung die Auffassung dar, daß die beanspruchte Erfindung keine wissenschaftliche Theorie betreffe und somit nicht nach Artikel 52 (2) a) EPÜ von der Patentfähigkeit ausgeschlossen sei.

Die Einspruchsabteilung befand, daß die beanspruchte Verwendung der in den Ansprüchen 1 und 2 genannten Verbindungen als Hemmstoffe für Esterase produzierende Mikroorganismen in einem desodorierenden Gemisch auf eine neu entdeckte, im Streitpatent erstmals beschriebene technische Wirkung zurückgehe, und kam zu dem Schluß, daß die Ansprüche 1 und 2 nach den in der Entscheidung G 2/88 (ABl. EPA 1990, 93) dargelegten Grundsätzen neu gegenüber der Entgegenhaltung 1 seien.

Zwar räumte die Einspruchsabteilung ein, daß einige der in der Entgegenhaltung 1 offenbarten desodorierenden Gemische auch einen aromatischen Ester enthielten, der unter die in Anspruch 3 des Streitpatents definierte Gruppe falle, und darüber hinaus ein Duftstoffgemisch und einen Träger für den aromatischen Säureester und das Duftstoffgemisch umfaßten. Dennoch befand sie den Gegenstand des Anspruchs 3 für neu, weil die in der Entgegenhaltung 1 offenbarten desodorierenden Erzeugnisse eine lange Liste von Wirkstoffen aufwiesen und die aromatischen Ester selbst im Gegensatz zu Anspruch 3 des Streitpatents nicht eindeutig als Wirkstoff der in der Entgegenhaltung 1 offenbarten bekannten Gemische genannt waren.

Die Einspruchsabteilung stellte fest, daß keine der im Einspruchsverfahren angezogenen Entgegenhaltungen einen Fachmann auf den Gedanken brächte, die in den vorliegenden Ansprüchen vorgeschlagenen aromatischen Ester als Hemmstoffe für Esterase produzierende Mikroorganismen in einem desodorierenden Gemisch zu verwenden, und daß der beanspruchte Gegenstand des Streitpatents auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Sie wies den Einspruch gemäß Artikel 102 (2) EPÜ zurück.

V. Die Beschwerdeführerin legte Beschwerde gegen diese Entscheidung der Einspruchsabteilung ein und reichte innerhalb der in Artikel 108 EPÜ festgelegten Frist die Beschwerdebegründung nach. Mit Schreiben vom 17. August 1995 nahm die Beschwerdegegnerin zu den Beschwerdegründen Stellung.

Beide Beteiligten beantragten eine mündliche Verhandlung.

VI. Mit Schreiben vom 31. Juli 1998 zog die Beschwerdegegnerin ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurück und teilte der Kammer ihre Entscheidung mit, sich nicht weiter am Verfahren zu beteiligen. Die mündliche Verhandlung fand am 19. Januar 1999 statt; die Beschwerdegegnerin war darin nicht vertreten.

Da der Vertreter der Beschwerdeführerin lediglich eine Kopie seiner Vollmacht vorwies, wurde er nur unter der Bedingung zur mündlichen Verhandlung zugelassen, daß er innerhalb von zwei Wochen das Original nachreiche. Dies geschah am 27. Januar 1999.

VII. Die Beschwerdeführerin brachte im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung sinngemäß folgendes vor:

Die technische Lehre, die der Öffentlichkeit mit der strittigen Patentschrift zugänglich gemacht worden und in den Ansprüchen 1 und 2 dargelegt sei, bestehe darin, daß die beanspruchten Wirkstoffe beim Kontakt mit der Haut eine desodorierende Wirkung aufwiesen. Die Offenbarung im Streitpatent, wonach diese Wirkung durch die Hemmung des Wachstums von Esterase produzierenden Mikroorganismen zustande komme, sei lediglich eine wissenschaftliche Theorie zur Erläuterung eines Mechanismus, der möglicherweise für diese Wirkung verantwortlich sei. Außerdem sei diese Theorie selbst nicht neu, sondern bereits aus dem Stand der Technik bekannt, wie auch der Entgegenhaltung 8 zu entnehmen sei. So interessant diese Theorie auch sein möge und ob sie nun richtig sei oder nicht: Sie sei jedenfalls nur gewerblich anwendbar, wenn die in der Entgegenhaltung 1 beschriebenen Wirkstoffe als desodorierende Wirkstoffe in einem desodorierenden Gemisch verwendet würden, das auf die Haut aufgetragen werde.

Genau diese technische Lehre sei der Öffentlichkeit aber bereits mit der Entgegenhaltung 1 und speziell den Beispielen 1, 3, 4 und 5 zugänglich gemacht worden. Einige der Wirkstoffe, die in den in der Entgegenhaltung 1 offenbarten desodorierenden Erzeugnissen verwendet würden – z. B. Benzylsalicylat oder Phenylethylphenylacetat -, seien identisch mit den in den Ansprüchen 1 und 2 des Streitpatents aufgeführten Wirkstoffen.

Im Gegensatz zu den in der Entscheidung G 2/88 genannten Fällen mache das Streitpatent insgesamt und vor allem in den Ansprüchen 1 und 2 der Öffentlichkeit keine technische Lehre zugänglich, die gegenüber dem, was bereits aus der Entgegenhaltung 1 hergeleitet werden könne, neu wäre. Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 2 sei daher nicht neu.

Der Anspruch 3 des Streitpatents sei auf ein desodorierendes Gemisch gerichtet, das Hemmstoffe für Esterase produzierende Mikroorganismen enthalte, genauer gesagt bestimmte aromatische Säureester eines Phenols oder eines aromatischen Alkohols, ein Duftstoffgemisch und einen Träger. In der Entgegenhaltung 1 – speziell in den Beispielen 1, 3, 4 und 5 – seien in ähnlicher Weise desodorierende Gemische offenbart, die aus einem Hemmstoff für Esterase produzierende Mikroorganismen, wie er in Anspruch 3 spezifiziert sei, einem Träger für diesen Wirkstoff und einem Duftstoffgemisch bestünden. Somit sei auch der Anspruch 3 nicht neu gegenüber der Entgegenhaltung 1, in der bereits verschiedene der unter den vorliegenden Anspruch 3 fallenden desodorierenden Erzeugnisse offenbart seien.

Falls die Kammer dennoch zu dem Schluß gelange, daß die in den vorliegenden Ansprüchen dargelegte besondere technische Wirkung in der Entgegenhaltung 1 nicht offenbart und daher neuheitsbegründend sei, sei darauf hinzuweisen, daß keiner der Ansprüche gegenüber der Kombination der Entgegenhaltungen 1 und 8 erfinderisch sei. Die Erläuterung in Spalte 2, Zeilen 43 bis 51 des Streitpatents zum Mechanismus, der für die Hemmung von auf der menschlichen Haut vorhandenen Esterase produzierenden Mikroorganismen verantwortlich sei, sei nahezu identisch mit der Erläuterung in der Entgegenhaltung 8 unter “Mode of Action”. So werde die desodorierende Wirkung der in der Entgegenhaltung 8 als Wirkstoffe verwendeten Citronensäureester in vergleichbarer Weise auch durch die mikrobiellen Enzyme erzielt, die die Ester in ihre Bestandteile – d. h. Säure und Alkohol – aufspalteten. Somit sei es naheliegend, zu der beanspruchten Erfindung zu gelangen, indem einfach der in der Entgegenhaltung 8 als Wirkstoff verwendete Citronensäureester durch einen aromatischen Ester wie Benzylsalicylat ersetzt werde, der bereits aus der Entgegenhaltung 1 als Bestandteil von Desodorantien bekannt sei.

VIII. Die Beschwerdegegnerin argumentierte im schriftlichen Verfahren sinngemäß wie folgt:

Die von der Beschwerdeführerin angezogenen Entgegenhaltungen und speziell die Entgegenhaltung 1 enthielten keinerlei Hinweis darauf, daß aromatische Ester aromatischer Alkohole, wie sie im Streitpatent definiert seien, die Fähigkeit oder die Wirkung aufwiesen, auf der menschlichen Haut vorhandene Esterase produzierende Mikroorganismen zu hemmen.

Die Entgegenhaltung 1 liefere beispielsweise keinen Anhaltspunkt dafür, daß es zweckmäßig sein könnte, ausschließlich Benzylsalicylat ohne die Vielzahl anderer Inhaltsstoffe der in der Entgegenhaltung 1 offenbarten desodorierenden Gemische als einzigen desodorierenden Wirkstoff einzusetzen. Nach den in der Entscheidung G 2/88 dargelegten Grundsätzen sei die beanspruchte Verwendung aromatischer Ester als Hemmstoffe für die auf der menschlichen Haut vorhandenen Esterase produzierenden Mikroorganismen daher zweifellos neu.

Was die auf das desodorierende Gemisch selbst gerichteten Ansprüche betreffe, so habe die Einspruchsabteilung ganz richtig erkannt, daß weder die Entgegenhaltung 1 noch eine der anderen Entgegenhaltungen der Öffentlichkeit Gemische zugänglich mache, in denen der Wirkstoff lediglich aus aromatischen Estern eines Phenols oder eines aromatischen Alkohols bestehe. Daher sei das beanspruchte Gemisch auch neu.

Die Entgegenhaltung 1 enthalte eindeutig nichts, was den Fachmann auf den Gedanken brächte, daß sich die Aufgabe, ein verbessertes Desodorans zur Verfügung zu stellen, durch die bloße Verwendung eines aromatischen Esters als einzigem desodorierenden Wirkstoff erfolgreich lösen lasse. Selbst wenn die antibakterielle Wirkung einiger unter die vorliegenden Ansprüche fallender Phenole im Stand der Technik bekannt sei, werde in Spalte 3, Zeilen 34 bis 41 des Streitpatents klar unterschieden zwischen der medizinisch unerwünschten vollständigen Beseitigung der Mikroflora, d. h. der antibakteriellen Wirkung, und der erwünschten hemmenden Wirkung, die durch die Verwendung der erfindungsgemäßen aromatischen Ester erzielt werde.

In der Entgegenhaltung 8 gehe es speziell um die Behandlung von Akne und dabei im wesentlichen um die Verwendung von Diethyltartrat oder Triethylcitrat zur Vermeidung des stechenden Eigengeruchs von Milchsäureethylester. Für den Fachmann habe daher kein triftiger Grund bestanden, die Lehren der Entgegenhaltungen 1 und 8 zu kombinieren. Angesichts der Tatsache, daß sich die Entgegenhaltung 8 auf die Vorteile der Ergänzung des Triethylcitrat durch ein Antioxidans beziehe, entschiede sich ein Fachmann, der die Gemische der Entgegenhaltung 8 weiter verbessern wollte, eher für den Zusatz anderer Antioxidantien neben BHT (Butylhydroxytoluol) und BHA (Butylhydroxyanisol), die in 8 konkret angeführt seien, als für den Ersatz des Esters. Daher werde der im Streitpatent beanspruchte Gegenstand dem Fachmann durch den angeführten Stand der Technik weder vorgeschlagen noch nahegelegt.

IX. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 307 400.

X. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung. Hilfsweise beantragte sie die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des am 5. Juni 1996 eingereichten und als Anlage 3 gekennzeichneten Anspruchssatzes. Dieser Hilfsantrag entspricht dem Antrag, der bereits in dem unter der Nummer IV angeführten Verfahren der Einspruchsabteilung vorgelegt wurde.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Verfahrensrechte nach Artikel 113 (1) EPÜ

2.1 Nach Artikel 113 (1) EPÜ dürfen Entscheidungen des EPA nur auf Gründe gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Dieses Verfahrensrecht soll gewährleisten, daß kein Beteiligter durch Gründe in einer Entscheidung auf Ablehnung seines Antrags überrascht wird, zu denen er nicht Stellung nehmen konnte. In der Entscheidung G 4/92 (ABl. EPA 1994, 149) legte die Große Beschwerdekammer die Bestimmungen des Artikels 113 (1) EPÜ zum rechtlichen Gehör und zur Stellungnahme dahingehend aus, daß eine Entscheidung zuungunsten eines Beteiligten, der trotz ordnungsgemäßer Ladung der mündlichen Verhandlung ferngeblieben ist, nicht auf erstmals in dieser mündlichen Verhandlung vorgebrachte Tatsachen gestützt werden darf. Neue Argumente können dagegen grundsätzlich in der Begründung der Entscheidung aufgegriffen werden, wenn sie auf den bereits vorgebrachten Tatsachen und Beweismitteln basieren (vgl. G 4/92, insbesondere Schlußfolgerung 1).

2.2 Im vorliegenden Fall wurden beide Beteiligten mit Telefax vom 28. Juli 1998 über die Absicht der Kammer unterrichtet, sie zur mündlichen Verhandlung am 19. Januar 1999 zu laden (Art. 116 EPÜ). Mit Schreiben vom 31. Juli 1998 teilte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) der Kammer mit, daß sie “den Antrag der Patentinhaberin auf mündliche Verhandlung zurücknehmen” wolle, und fügte folgendes hinzu: “und wir bestätigen, daß sich die Patentinhaberin nicht weiter am Verfahren beteiligen wird.”

Mit einer Mitteilung vom 12. August 1998 wurden beide Beteiligten gemäß Regel 71 (1) EPÜ ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen. Die Verhandlung fand am 19. Januar 1999 statt. Da die Beschwerdegegnerin nicht vertreten war, wurde das Verfahren – wie in Regel 71 (2) EPÜ vorgesehen – ohne sie fortgesetzt.

2.3 Der vorliegende Fall ist anders gelagert als die Sache G 4/92. So blieb die Beschwerdegegnerin nicht nur trotz ordnungsgemäßer Ladung der mündlichen Verhandlung fern, sondern teilte der Kammer schon im voraus ihre Entscheidung mit, sich nicht weiter am Verfahren zu beteiligen. Dieser Entschluß der Beschwerdegegnerin, sich völlig aus dem Verfahren zurückzuziehen, wird dadurch bekräftigt, daß sie nicht einmal den Bescheid des Geschäftsstellenbeamten vom 14. August 1998 beantwortete. Mit diesem Bescheid wurde die Beschwerdegegnerin unter Bezugnahme auf ihr oben angeführtes Schreiben vom 31. Juli 1998 aufgefordert, ihre Verfahrensanträge zu bestätigen.

2.4 Die Große Beschwerdekammer hat in der oben genannten Entscheidung die Möglichkeit der in Regel 71 (2) EPÜ vorgesehenen Durchführung der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit eines Beteiligten im Zusammenhang mit der Notwendigkeit einer geordneten Rechtspflege gesehen. In deren Interesse müsse verhindert werden, daß ein Beteiligter durch sein Fernbleiben den Erlaß einer Entscheidung verzögert (a. a. O., insbesondere Nr. 4 der Entscheidungsgründe). Dies kann nur bedeuten, daß die Verfahrensbeteiligten damit rechnen müssen, daß auf der Grundlage des feststehenden und als relevant erkennbaren Sachverhalts eine Entscheidung zu ihren Lasten ergehen kann. Daraus läßt sich weiter ableiten, daß die Stützung einer Entscheidung auf einen erstmals in der mündlichen Verhandlung erörterten Grund gegen die Aufrechterhaltung des Patents jedenfalls dann zulässig ist, wenn die Erörterung der Frage für den ordnungsgemäß geladenen, aber abwesenden Beschwerdegegner (Patentinhaber) nach dem Stand des Verfahrens zu erwarten war und ihm die tatsächlichen Grundlagen für ihre Beurteilung aus dem bisherigen Verfahren bekannt waren (s. T 341/92, ABl. EPA 1995, 373).

2.5 Die oben dargelegten Erfordernisse sind im vorliegenden Fall erfüllt:

i) Die Entscheidung auf Widerruf des Patents ist vollständig auf Gründe, Tatsachen und Beweismittel gestützt, die der Beschwerdegegnerin bereits aus dem Verfahren vor der Einspruchsabteilung bekannt waren und die ihr im Beschwerdeverfahren nochmals schriftlich zur Kenntnis gebracht wurden. Außerdem hat die Beschwerdegegnerin die Gelegenheit wahrgenommen, sich zu den Beschwerdegründen, die ihr am 9. Februar 1995 zugeschickt worden waren, und zum Bescheid der Kammer vom 11. März 1998 in ausführlichen Stellungnahmen vom 17. August 1995 und 8. Juli 1998 zu äußern.

ii) Darüber hinaus hat die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) der Kammer schon vor der mündlichen Verhandlung eindeutig ihre Entscheidung mitgeteilt, sich nicht weiter am Verfahren zu beteiligen. Diese Erklärung ist nach Auffassung der Kammer nur als eindeutige Entscheidung der Beschwerdegegnerin auszulegen, sich ihrer in Artikel 113 (1) EPÜ festgelegten Rechte aus freien Stücken zu begeben und darauf zu verzichten, sich zu Einwänden, Tatsachen, Gründen oder Beweismitteln zu äußern, die von der Beschwerdeführerin oder der Kammer in das Verfahren eingeführt werden und sich später als maßgeblich für den Widerruf des Patents erweisen könnten, selbst wenn sie dazu die Möglichkeit hätte.

2.6 Aus diesen Überlegungen heraus ist die Kammer der Auffassung, daß die Beratung und Entscheidung über den Widerruf des Patents bei dieser Sachlage nicht gegen die Schlußfolgerungen der Großen Beschwerdekammer in ihrer Entscheidung G 4/92 verstößt und trotz des Fernbleibens der Beschwerdegegnerin von der mündlichen Verhandlung nicht deren in Artikel 113 (1) EPÜ verankerte Verfahrensrechte verletzt.

3. Neuheit des Anspruchs 2 (Art. 100 a) in Verbindung mit Art. 54 EPÜ)

3.1 Im Zusammenhang mit dem Einwand der Beschwerdeführerin nach Artikel 54 EPÜ gegen die Neuheit des Anspruchs 2 und der entsprechenden Entscheidung der Einspruchsabteilung erachtet es die Kammer für zweckmäßig, zunächst einmal zu klären, was in Anspruch 2 des Streitpatents eigentlich beansprucht wird. Anspruch 2, der im Hauptantrag und den Hilfsanträgen identisch ist, richtet sich auf

i) die Verwendung eines aromatischen Esters eines Phenols oder eines aromatischen Alkohols (nachstehend “aromatischer Ester” oder “aromatische Ester” genannt)

ii) als Hemmstoff für Esterase produzierende Mikroorganismen

iii) in einem desodorierendenGemisch, das zusätzlich ein Duftstoffgemisch und einen Träger für den aromatischen Ester und das Duftstoffgemisch aufweist.

Als geeignete aromatische Alkohole werden im Streitpatent beispielsweise Benzylalkohol und Phenylethylalkohol genannt (s. Spalte 3, Zeilen 22 bis 23). Geeignete aromatische Säuren, die mit diesen aromatischen Alkoholen aromatische Ester bilden können, sind beispielsweise Salicylsäure, Zimtsäure und Phenylessigsäure (s. Spalte 3, Zeilen 31 und 32). Als Träger im desodorierenden Gemisch gemäß Anspruch 2 kommen beispielsweise 96 % Ethanol (s. Spalte 3, Zeile 48), Talkum, Stärke oder andere geeignete Pulver in Frage (s. Spalte 4, Zeilen 2 und 3).

3.2 Die in Anspruch 2 definierte Gruppe der “aromatischen Ester” umfaßt natürlich eine beträchtliche Zahl von Verbindungen, die an sich im Stand der Technik bekannt sind, z. B. Benzylsalicylat oder Phenylethylphenylacetat.

Auch die Verwendung “aromatischer Ester” als Wirkstoffe in desodorierenden Erzeugnissen ist im Stand der Technik bereits bekannt. So offenbart die Entgegenhaltung 1 speziell in den Beispielen 1, 3, 4 und 5 i) die Verwendung eines Stoffs aus der Gruppe der “aromatischen Ester”

ii) als Wirkstoff [s. Seite 2, Zeilen 43 bis 46: “Die wichtigsten für die Formulierung von desodorierenden Gemischen mit dem neuen Wirkprinzip erforderlichen Stoffe – unter anderem Benzylsalicylat in den Beispielen 1, 5, Coniferylbenzoat in Beispiel 3, Phenylethylphenylacetat in Beispiel 4 – sind diejenigen …”]

iii) in desodorierenden Erzeugnissen, die zusätzlich verschiedene Duftstoffe (s. Seite 1, Zeilen 25 bis 26: “einige davon können Duftstoffe sein”) aufweisen, und

einen Träger für den Ester als Wirkstoff und die Duftstoffe (s. Seite 3, Zeile 29 bis Seite 5, Zeile 111).

Genauer gesagt offenbart Beispiel 1 einen desodorierenden Talkumpuder, der aus 99,5 Gew.-% Talkum als Träger und 0,5 Gew.-% eines desodorierenden Gemischs besteht, das wiederum als Wirkstoff 4 Teile Benzylsalicylat, d. h. einen “aromatischen Ester”, sowie verschiedene Duftstoffe enthält, z. B. Ambra AB 358, Bergamott AB 430, Orangenöl.

Beispiel 3 offenbart eine desodorierende Handlotion in Form einer Öl-in-Wasser-Emulsion, die einen Träger enthält, der speziell zum Auftragen des desodorierenden Gemischs auf die Haut entwickelt wurde, und 0,5 Gew.-% eines desodorierenden Gemischs, das wiederum als Wirkstoff 5 Teile Siam-Benzoeharz sowie verschiedene Duftstoffe enthält. Nach der Entgegenhaltung 6 ist der wesentliche Bestandteil von Siam-Benzoeharz Coniferylbenzoat, d. h. ein “aromatischer Ester”. Ebenso offenbaren auch die Beispiele 4 und 5 desodorierende Erzeugnisse aus einem Träger und einem desodorierenden Gemisch, das wiederum als Wirkstoff 5 Teile Phenylethylphenylacetat (Beispiel 4) bzw. 15 Teile Benzylsalicylat (Beispiel 5) sowie verschiedene Duftstoffe enthält. In Beispiel 5 besteht der Träger aus 80 % Alkohol.

Andererseits enthält weder die Entgegenhaltung 1 noch irgendeine andere in das Verfahren eingeführte Entgegenhaltung eine Offenbarung oder Lehre, wonach ein “aromatischer Ester”, wie er in Anspruch 2 genauer beschrieben und oben angeführt ist, bei der Verwendung in einem desodorierenden Gemisch in der Lage ist, auf der menschlichen Haut vorhandene Esterase produzierende Mikroorganismen zu hemmen. Dies wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht bestritten.

3.3 Somit ergibt ein Vergleich des im vorliegenden Anspruch 2 beanspruchten Gegenstands mit der Offenbarung im Stand der Technik, daß das, was im vorliegenden Fall in der Entgegenhaltung 1 nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, die Entdeckung oder Erklärung war, daß “aromatische Ester” als Wirkstoffe in einem desodorierenden Gemisch die Fähigkeit aufweisen, auf der menschlichen Haut vorhandene Esterase produzierende Mikroorganismen zu hemmen.

Allerdings sind “aromatische Ester” an sich und ihre Verwendung als Wirkstoffe in desodorierenden Erzeugnissen, die zusätzlich ein Duftstoffgemisch sowie einen Träger für die aromatischen Ester und das Duftstoffgemisch aufweisen, der Öffentlichkeit in der Entgegenhaltung 1 zweifellos in Form einer technischen Lehre zugänglich gemacht worden.

3.4 Aus den Überlegungen unter den vorangegangenen Punkten geht ausreichend klar hervor, daß die Neuheitsprüfung im vorliegenden Fall von der Antwort auf die Frage abhängt, ob die oben angeführte beanspruchte Wirkung oder Fähigkeit der “aromatischen Ester”, die im Stand der Technik nicht offenbart, in Anspruch 2 des Streitpatents aber genannt ist, dem in Anspruch 2 beanspruchten Gegenstand Neuheit verleihen kann. In der Frage der Neuheit berief sich die Beschwerdegegnerin hauptsächlich auf die Entscheidung G 2/88 (ABl. EPA 1990, 93).

Um die in der Entscheidung G 2/88 dargelegten Schlußfolgerungen richtig auf den vorliegenden Fall anwenden zu können, hält es die Kammer für zweckmäßig, die der Großen Beschwerdekammer vorgelegte Frage iii und die in der Entscheidung darauf erteilte Antwort zu rekapitulieren.

Diese Frage hatte wie folgt gelautet: “Ist ein Anspruch für die Verwendung eines Stoffes für einen bestimmten nichtmedizinischen Zweck neu im Sinne des Artikels 54 EPÜ gegenüber einer Vorveröffentlichung, die die Verwendung dieses Stoffes für einen anderen nichtmedizinischen Zweck offenbart, wenn das einzige neue Merkmal des Anspruchs der Zweck ist, für den der Stoff verwendet wird?”

Die Antwort auf die Frage iii ist unter der Nummer 10.3 der Entscheidungsgründe wie folgt zusammengefaßt: “Bei einem Anspruch auf eine neue Verwendung eines bekannten Stoffes kann diese neue Verwendung eine neu entdeckte und im Patent beschriebene technische Wirkung wiedergeben. Die Erzielung dieser technischen Wirkung ist als funktionelles technisches Merkmal des Anspruchs zu betrachten (z. B. die Erreichung dieser technischen Wirkung in einem bestimmten Zusammenhang). Ist dieses technische Merkmal der Öffentlichkeit zuvor nicht durch eines der in Artikel 54 (2) EPÜ genannten Mittel zugänglich gemacht worden, dann ist die beanspruchte Erfindung neu, auch wenn diese technische Wirkung bei der Ausführung dessen, was zuvor der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden war, möglicherweise inhärent aufgetreten ist.”

Die Schlußfolgerungen in der Entscheidung G 2/88 lassen sich mit Bezug auf zwei Einzelfälle weiter klären, die von der Großen Beschwerdekammer in ihrer Entscheidung berücksichtigt wurden: In der Entscheidung T 59/87 (ABl. EPA 1988, 347), mit der die oben angeführte Frage der Großen Beschwerdekammer vorgelegt wurde, war die Verwendung eines bestimmten Stoffs als rosthemmender Zusatz bereits im Stand der Technik bekannt. Aufgrund der neu entdeckten reibungsverringernden Wirkung dieses Stoffes wurden Ansprüche, die auf die bis dahin unbekannte, neue Verwendung dieses Stoffs als reibungsverringernder Zusatz in einem Schmiermittel gerichtet waren, in der Endentscheidung (T 59/87, ABl. EPA 1991, 561) nach den oben dargelegten Grundsätzen für neu im Sinne des Artikels 54 (1) EPÜ befunden. Während die bekannte Verwendung des Stoffs die Verhinderung der Rostbildung war, bestand die der beanspruchten Erfindung zugrunde liegende Aufgabe darin, die Reibung zwischen sich bewegenden Flächen in Motoren zu verringern. Schmiermittel lassen sich zu zahlreichen Zwecken einsetzen, und beide Wirkungen können in völlig verschiedenen Situationen von Bedeutung sein. Somit bestehen auf der Grundlage von zwei ganz unterschiedlichen Wirkungen zwei ganz unterschiedliche Anwendungen oder Verwendungen desselben Stoffs, die sich klar voneinander unterscheiden lassen.

Im zweiten Fall, der Entscheidung T 231/85 (ABl. EPA 1989, 74; angeführt in G 2/88, Nr. 9.1 der Entscheidungsgründe), war die Verwendung bestimmter Stoffe zur Beeinflussung des Pflanzenwachstums im Stand der Technik bekannt. Auf der Grundlage der neu entdeckten fungiziden Wirkung dieser Stoffe wurden Ansprüche, die auf die Verwendung dieser Stoffe für den bis dahin unbekannten, neuen Zweck der Bekämpfung und der vorbeugenden Bekämpfung von Pilzen gerichtet waren, nach den oben dargelegten Grundsätzen für neu im Sinne des Artikels 54 (1) EPÜ befunden. In der beanspruchten Erfindung wie auch im Stand der Technik wurden beide Behandlungen – d. h. zur Bekämpfung von Pilzen und zur Beeinflussung des Pflanzenwachstums – auf dieselbe Weise ausgeführt (das Mittel für die Realisierung war also dasselbe). Daher konnte die neu entdeckte technische Wirkung, d. h. die fungizide Wirkung, bereits inhärent aufgetreten sein, als die betreffenden Stoffe für den bekannten Zweck (Beeinflussung des Pflanzenwachstums) verwendet wurden. Dies wurde nicht als neuheitsschädlich beurteilt, weil es im Zusammenhang mit Artikel 54 (2) EPÜ darum geht zu entscheiden, was der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, und nicht darum, was in dem zugänglich Gemachten “inhärent” enthalten gewesen sein mag. Nach dem EPÜ ist eine der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemachte und deshalb nicht erkannte oder heimliche Benutzung kein Grund, um die Neuheit und Rechtsgültigkeit eines europäischen Patents anzuzweifeln.

In T 231/85 wiederum liegen auf der Grundlage von zwei ganz unterschiedlichen Wirkungen zwei ganz unterschiedliche Anwendungen oder Verwendungen derselben Stoffe vor, die sich klar voneinander unterscheiden lassen. Die Umstände, unter denen die Stoffe zur Bekämpfung von Pilzen eingesetzt werden, sind nämlich andere als die, unter denen sie zur Beeinflussung des Pflanzenwachstums verwendet werden.

Aus der Entscheidung G 2/88 und den oben angeführten Beispielen ergibt sich, daß Neuheit im Sinne des Artikels 54 (1) EPÜ zuerkannt werden kann, wenn die Entdeckung einer neuen technischen Wirkung eines bekannten Stoffs zu einer Erfindung führt, die in den Ansprüchen als Verwendung dieses Stoffs für einen bis dahin unbekannten, neuen nichtmedizinischen Zweck definiert wird, der dieser Wirkung entspricht (d. h. ein neues funktionelles technisches Merkmal), selbst wenn das einzige neue Merkmal in diesem Anspruch der Zweck ist, für den der Stoff verwendet wird.

Umgekehrt läßt sich aus der Entscheidung G 2/88 ableiten, daß keine Neuheit vorliegt, wenn der Anspruch auf die Verwendung eines bekannten Stoffs für einen bekannten nichtmedizinischen Zweck gerichtet ist, selbst wenn in diesem Anspruch eine neu entdeckte technische Wirkung angegeben ist, die der bekannten Verwendung zugrunde liegt.

3.5 Nach Auffassung der Kammer ist genau das hier der Fall. Wie bereits angeführt, ist die Verwendung eines “aromatischen Esters” als Wirkstoff in desodorierenden Gemischen bereits in der Entgegenhaltung 1 offenbart. Auch wenn die Entgegenhaltung 1 keine mögliche Erklärung für die Wirkung “aromatischer Ester” bei ihrer Verwendung als Wirkstoffe in einem desodorierenden Erzeugnis enthält und dem Fachmann sicherlich auch keine Informationen liefert, daß solche Ester die Wirkung oder Fähigkeit aufweisen, auf der menschlichen Haut vorhandene Esterase produzierende Mikroorganismen zu hemmen (d. h. eine neu entdeckte technische Wirkung), wurden “aromatische Ester” (d. h. bekannte Stoffe) doch in der Entgegenhaltung 1 bereits als Wirkstoffe in desodorierenden Erzeugnissen verwendet, die zusätzlich ein Duftstoffgemisch und einen Träger für die aromatischen Ester und das Duftstoffgemisch aufwiesen (d. h. bekannte nichtmedizinische Verwendung).

Somit ist die Offenbarung der Entgegenhaltung 1 nach Auffassung der Kammer neuheitsschädlich für den vorliegenden Anspruch 2. Dabei ist es für die Neuheitsschädlichkeit ohne Bedeutung, daß die tatsächliche technische Wirkung der “aromatischen Ester” in desodorierenden Gemischen in der Entgegenhaltung nicht beschrieben ist. Die nachträgliche Entdeckung, daß die desodorierende Wirkung “aromatischer Ester” bei deren Verwendung als Wirkstoff in desodorierenden Erzeugnissen durch ihre Fähigkeit bedingt sein könnte, Esterase erzeugende Mikroorganismen zu hemmen, könnte möglicherweise als (unter Umständen überraschende) Erkenntnis über die bekannte Verwendung oder Anwendung solcher Ester gewertet werden, kann dem Anspruch 2 aber keine Neuheit verleihen, weil dafür die neu entdeckte Wirkung zu einer neuen technischen Anwendung oder Verwendung der “aromatischen Ester” führen müßte, die nicht zwangsläufig mit der bekannten Anwendung oder Verwendung zusammenhängt und sich klar von ihr unterscheiden läßt. Wie bereits eingehend dargelegt, ist dies hier nicht der Fall.

3.6 Im vorliegenden Fall ist für die Neuheitsschädlichkeit auch ohne Belang, daß die desodorierenden Gemische in den oben angeführten Beispielen der Entgegenhaltung 1 zusätzlich zum “aromatischen Ester” eine ganze Reihe weiterer Inhaltsstoffe enthalten, die ebenfalls in dem unter der Nummer 3.2 i) dargelegten Sinne potentielle Wirkstoffe sind, weil der Anspruch 2 keineswegs auf die Verwendung eines “aromatischen Esters” als einzigem Wirkstoff in desodorierenden Gemischen begrenzt ist.

3.7 Die obigen Erwägungen stehen nach Auffassung der Kammer in Einklang mit den Schlußfolgerungen in der Entscheidung T 254/93 (ABl. EPA 1998, 285, siehe insbesondere Nr. 4.8 der Entscheidungsgründe), wonach die bloße Erklärung einer Wirkung, die bei Verwendung eines Stoffs in einem bekannten Stoffgemisch erzielt wird, selbst wenn sie für diesen Stoff in dem bekannten Gemisch nicht bekannt war, einem bekannten Verfahren keine Neuheit verleihen kann, wenn dem Fachmann bewußt war, daß die gewünschte Wirkung eintreten würde.

3.8 Die Kammer pflichtet der Beschwerdeführerin darin bei, daß die Zulassung von Ansprüchen, die auf die Verwendung eines bekannten Stoffs für einen bekannten Zweck gerichtet sind und sich vom Stand der Technik lediglich durch die Angabe einer neu entdeckten technischen Wirkung der bekannten Verwendung unterscheiden, möglicherweise zu einem unbegrenzten Ausschließungsrecht für die Verwendung eines bekannten Stoffs für einen bekannten Zweck führen könnte, indem immer wieder eine neue, möglicherweise nur geringfügig unterschiedliche technische Wirkung der bekannten Verwendung in solche Ansprüche aufgenommen wird. Genau dies sollte die Entscheidung G 2/88 offenbar verhindern, wonach Neuheit im Sinne des Artikels 54 (1) EPÜ nur zuerkannt werden kann, wenn eine neu entdeckte technische Wirkung eines bekannten Stoffs zu einer Erfindung führt, die im Anspruch als die Verwendung dieses Stoffs für einen bis dahin unbekannten, neuen nichtmedizinischen Zweck definiert wird, der dieser Wirkung entspricht.

3.9 Daraus folgt, daß der Gegenstand des Anspruchs 2 des Haupt- wie auch des Hilfsantrags nicht neu ist. Angesichts dieser Sachlage muß nicht untersucht werden, ob der Anspruch 2 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Da über jeden Antrag nur in seiner Gesamtheit entschieden werden kann, muß auch auf die Patentierbarkeit der übrigen Ansprüche nicht mehr eingegangen werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.